KEIN KORKEN ZU FEST

Traditionen im Wein sind wichtig – aber manchmal muss man den Korken knallen lassen.
1.10.2024

Die Weinbranche hält an Traditionen so fest wie ein Korken an der Champagnerflasche. Doch dann kommt jemand wie Chandra Kurt daher – eine wahre Inspiration und der personifizierte Beweis dafür, dass man auch im Weinkeller mal den Staubwedel schwingen darf.

Mit Chandra ging es kürzlich nach Kopenhagen, um alkoholfreie Weinalternativen zu ergründen. Ein paar Jahre davor durfte ich sie und ihr Team ins Burgund begleiten, wo ich ihr das legendäre Maison Joseph Drouhin zeigen konnte. Chandra ist immer bereit für Abenteuer, egal ob mit oder ohne Promille.

Auf unserer Kopenhagen-Reise, wo keine Tannennadel unfermentiert bleibt und Mut etwas Neues zu machen keine Grenzen kennt, kam mir immer wieder eine Frage in den Sinn:

Wieso strebt sich die Weinbranche so gegen "NoLo" (no and low alcohol wines)? Ich hatte schon Kundschaft im Weinladen, die von Weinhändler ausgelacht wurden, als sie nach NoLo's fragten. So viel zur Inklusion und Change.

Wein hat eine Geschichte, die Tausende von Jahren zurückreicht – lange genug, dass manche Winzer:innen wahrscheinlich noch ihre vergorenen Trauben mit Dinosauriern geteilt haben. Der Prozess des Traubenanbaus, der Gärung und der Reifung hat in vielen Regionen symbolische und kulturelle Bedeutung. Viele Weinherstellungsmethoden wurden so oft von Generation zu Generation weitergegeben, dass man sich fragen muss, ob sie nicht mit dem Familienkredo „wie man sich richtig aufregt, wenn jemand Innovation erwähnt“ vererbt wurden. Für einige ist die Tradition Teil der Kunstfertigkeit des Weins – und jede Veränderung fühlt sich da schnell wie ein Angriff auf das kulturelle Erbe an.

Faktoren zur Vorsicht gegenüber Innovation

  1. Kulturelles Erbe: Wein ist eng mit der regionalen Identität und Geschichte verbunden. In Gegenden wie Bordeaux oder der Toskana ist die Weinherstellung nicht nur ein Geschäft – es ist eine Lebensweise, und traditionelle Methoden werden als wesentlich für die Qualität und den Charakter des Weins angesehen.
  2. Regulierung: Viele weinproduzierende Regionen unterliegen strengen Vorschriften, wie dem AOC-System (Appellation d'Origine Contrôlée) in Frankreich. Diese Regeln schreiben Traubensorten, Produktionsmethoden und Reifeprozesse vor, wodurch Experimente und Innovationen zugunsten der Erhaltung von Standards, die an geografische Standorte gebunden sind, eingeschränkt werden.
  3. Erwartungen der Verbraucher: Weinliebhaber erwarten oft bestimmte Eigenschaften – wie Geschmack, Aroma und Alkoholgehalt –, die stark mit traditionellem Wein verbunden sind. Alkoholfreie Weinalternativen stellen diese Erwartungen in Frage. Einige traditionelle Konsumenten könnten diese als weniger komplex und nicht vergleichbar mit „echtem“ Wein empfinden.
  4. Marktwahrnehmung: Der mit Wein verbundene Prestige- und Luxusfaktor kann Produzenten davon abhalten, von etablierten Normen abzuweichen. Die Einführung alkoholfreier Alternativen oder anderer Innovationen könnte als Verwässerung der Marke oder als Kompromittierung des wahrgenommenen Werts des Produkts angesehen werden.
  5. Angst vor Qualitätsverlust: Viele in der Branche glauben, dass Abweichungen von traditionellen Methoden die Qualität des Endprodukts beeinträchtigen könnten. Alkohol spielt beispielsweise eine Rolle in der Struktur und dem Geschmacksprofil des Weins. Das Entfernen oder Reduzieren des Alkohols kann zu einem anderen sensorischen Erlebnis führen, das von Traditionalisten negativ bewertet werden könnte.

Trotz dieser Widerstände findet jedoch ein Wandel statt. Der Aufstieg alkoholfreier Weine, lokaler Fruchtsäfte von den Bäumen am Rebberg, pasteurisierter Traubensäfte, biologischer und biodynamischer Weinbau sowie nachhaltiger Anbaumethoden zeigen, dass sich die Branche weiterentwickeln kann. Auch die Verbrauchernachfrage ändert sich, da immer mehr Menschen gesundheitsbewusste oder umweltfreundliche Optionen suchen, und die jüngeren Generationen stehen Innovationen immer offener gegenüber.

FAZIT

Die ganze Weinbranche steht Kopf, weil der Pro-Kopf-Konsum abnimmt. Vor zehn Jahren wurde noch 41l Wein pro Kopf im Jahr konsumiert. Heute sind es 43l pro Kopf. Was man nicht vergessen darf ist, dass der Gesamtkonsum (das Volumen), dank dem Bevölkerungszuwachs in der Schweiz (mehr Köpfe), kaum abgenommen hat. Im Jahr 2013 war es 47l pro Kopf, heute sind wir bei 44l pro Kopf. Das heisst, es gibt mehr Menschen in der Schweiz, aber alle trinken ein bisschen weniger. Ist das schlecht? Nein. Faust im Sack machen? Nein. Entweder man geht mit der Zeit oder man geht mir der Zeit. Manhattan oder nöd.

Chandra ist der lebende Beweis, dass man in der Weinwelt ruhig mal einen mutigen Schritt in eine neue Richtung wagen darf – ohne dabei den guten alten Tropfen zu vergessen. Abenteuerlust trifft auf Weinkultur. Und um genau das ging es auf unserer Reise. Wir tranken uns durch Chablis und fermentierten Tee-Blends. Die Freude am Entdecken wollte kein Ende nehmen.

Der Weg zu ausschliesslich guten alkoholfreien Weinen ist noch lang. Beim Bier brauchte es auch Jahre. Heute geht es bei den NoLo's um "Probieren, statt Studieren". Weil da draussen doch noch einiges an alkoholfreiem Weinramsch angeboten wird, haben wir uns bei Edvin dazu verpflichtet, nur das Beste im Sortiment zu haben. So musst du nicht Mal probieren, sondern uns vertrauen. Darauf sind wir stolz.

Alkohohlfreie Weinalternativen sind keine Gefahr für die Weinbranche. Sie sind eine Ergänzung und werden den Wein nicht wegdrängen. Denn Wein gehört zur Menschheit, wie die Fernbedienung zur Couchritze.

EDVIN ALKOHOLFREI

ÜBER CHANDRA KURT

Chandra hat eine unendliche Leidenschaft für Wein – und das nicht nur wegen der Trauben. Sie verbindet damit Kultur, Geschichte, Landschaften, Reisen und Menschen. Wenn sie nicht gerade mit einem Glas in der Hand ihre neusten Entdeckungen teilt, schreibt sie Bücher und Zeitschriften und öffnet damit anderen Weinliebhabern die Tür zu dieser faszinierenden Welt. Für mich ist sie wie eine Brücke in das Wunderland des Weins.

In ihrem „Weinseller Journal“ gibt sie Sommeliers, Winzern und Weinhändlern eine Bühne, auf der sie ihre Ideen präsentieren und die Zukunft des Weins mitgestalten können. Sie schafft Raum für Kreativität und Innovation – und das alles, ohne den traditionellen Weingeist zu vernachlässigen.

Wenn sie nicht gerade ihr „Weinseller Journal“ aus dem Hut zaubert, arbeitet sie an einem neuen Buch oder plant ihre nächste Kollaboration. Was mich zudem fasziniert, ist ihr Netzwerk. Während Chandra und ich immer wieder darüber debattieren, wie wichtig Instagram nun wirklich ist, beeindruckt mich ihre Fähigkeit, echte Verbindungen, weit abseits von den Socials, zu schaffen. Keine Filter, keine Likes – einfach echte Menschen und echte Beziehungen. Das tut der Seele gut. Und ihre Stories über diese Begegnungen tun sogar noch besser.

Wein ist pure Freude und bringt Menschen zusammen. Eine Mission, welche Chandra und ich aus vollstem Herzen verfolgen. Vielen Dank für deine Partnerschaft.

Weinseller Journal Ihre neuste Ausgabe "Mit Muri in Kopenhagen. Eine dänische Entdeckung." ist ab sofort unter chandrakurt.com erhältlich.

Weinseller Guide Für diesen Weinführer verkostet Chandra jedes Jahr Hunderte von Weinen, die in den grossen Schweizer Detailhandelsgeschäften verkauft werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Suche nach den besten Entdeckungen, soliden Marken und Weinen für den täglichen Genuss. Mehr als 500 Weine aus der ganzen Welt werden vorgestellt und nach dem 20-Punkte-System bewertet. Die nächste Ausgabe erscheint Mitte Oktober 2024.