Über welche autochtone Traubensorten verfügt die Schweiz?

Hier kommt die fünfte Landessprache.
16.11.2020

Ich saufe lieber in Graubünden.

Da gehe ich nämlich demnächst hin. Und dies aus zwei Gründen. Erstens weil ich in Capuns baden will und zweitens weil eine meiner Lieblingstraubensorten, der Completer, da Zuhause ist. Ich mag diesen Wein so, weil er üppig ist, aber dich trotzdem mit einer guten Säure aufweckt. Solche autochthone Traubensorten faszinieren mich ohnehin enorm, was mich dazu bringt, einen Artikel über sie zu schreiben.

Laut meinem Schweizer-Traubensorten-Guru José Vouillamoz kultivieren wir in der Schweiz 252 verschiedene Rebsorten. 31,6 Prozent der Sorten sind einheimisch (autochthon). Ein Weltrekord schlechthin.

Was sind autochthone Traubensorten?

Autochthone Traubensorten wachsen da, wo sie ihren Ursprung haben. Sie befinden sich also in ihrem aktuellen Verbreitungsgebiet, weil sie da «geboren» wurden. Diese Traubensorten entstehen meistens durch natürliche Kreuzung oder Hybride und sind meistens über 200 Jahre alt. Da sie schon eine halbe Ewigkeit an diesen Standorten gedeihen, liefern sie meistens nur unter diesen spezifischen Bedingungen ihre beste Qualität. Pflanzt man sie plötzlich irgendwo anders an...«gheien sie überen».

Beispiele für autochthone Traubensorten:

  • Torrontes aus Argentinien
  • Grüner Veltliner und Blaufränkisch aus Österreich
  • Lagrein aus dem Südtirol, Italien
  • Monastrell und Xarel.lo aus Spanien
  • Touriga Nacional aus Portugal
  • Aligoté aus dem Burgund, Frankreich
  • Arneis aus Roero, Piemont in Italien
  • Nerello Mascalese aus Sizilien, Italien

Die Liste ist nicht vollständig. Für alle, die jetzt «aber es git na viiiiel meeehhh!!!!» schreien.

Und jetzt zu den Schweizer autochthonen Traubensorten. Das erste Mal, als ich die Namen vieler dieser Traubensorten las, glaubte ich, im falschen Film zu sein.

Als hätte die Schweiz eigentlich fünf Landessprachen.

Zieht euch mal diese autochthonen Traubensortennamen rein:

  • Chardoris: weisse Traube
  • Millot-Foch: rote Traubensorte
  • Cabernello: rote Traubensorte
  • Lafnetscha: weisse Traubensorte
  • Doral: weisse Traubensorte
  • Eyholzer Roter: rote Traubensorte
  • Himbertscha: weisse Traubensorte
  • Magliasina: rote Traubensorte
  • Charmont: weisse Traubensorte

Die obengenannten Traubensorten sind heute kaum mehr auffindbar. Ein paar crazy Produzenten kultivieren sie noch, aber die Erträge sind so klein, dass es rein wirtschaftlich leider keinen Sinn mehr macht (Aufwand versus Ertrag). Zudem ging die Nachfrage wegen der Beliebtheit von internationalen Traubensorten (Chardonnay, Sauvignon Blanc, Pinot Gris etc.) zurück. Zum Glück sind jene Produzenten so leidenschaftlich, dass sie dieses Kulturerbe weiterhin pflegen. In der autochthonen fünften Landessprache also: «Dankscha vielmatscha»!

Die gängigen autochthonen Traubensorten.

Sie könnten euch bekannter vorkommen. Hier eine nicht abschliessende Auswahl:

Amigne (Walllis)

Weisse Sorte, der «Samichlaussack»: Ein etwas vollerer Weisswein, der oft auch ein wenig lieblich (süsslich) daherkommen kann (aber den es auch komplett trocken gibt). Er erinnert mich an einen «Samichlausbeutel», weil ich oft Aromen von «Mandarinli» und Orange rieche.

Chasselas (Genf und Waadt) oder Fendant (Wallis)

Weisse Sorte, der Terroir-Streber: Elegante, spritzige, nicht aufdringliche, säureärmere Weine, die je nach Ortschaft sich tatsächlich differenzieren. Eben, Terroir-Streber.

Petite Arvine (Wallis)

Weisse Sorte, der Salzige: Ein schmeichelnder, vielschichtiger und weicher Wein mit einem eher salzigen Abgang. Oft hört man das Aroma Rhabarber im Zusammenhang mit Petit Arvine... leider hatte ich dieses Vergnügen noch nie.

Completer (v.a. Graubünden)

Weisse Sorte, der Kellerhocker: Unter allen Weinen der Schweiz hat der Completer das grösste Lagerpotenzial, weil er eine ausgeprägte Säure besitzt und eine dichte, komplexe Struktur hat. Der kann also «easypeasy» 15 Jahre abhocken und immer noch Honig- und Quittenaromen aufweisen.

Cornalin (Wallis)

Rote Sorte, der Rustikale: Dieser Rotwein erinnert mich immer an einen Malbec, aber irgendwie sanfter. Er ist zwar nicht so tanninreich wie ein Malbec, jedoch genau gleich wild und saftig. Ich mag Cornalin «schampar».

Heida (Walllis)

Weisse Sorte, das Tropenhaus: Heida ist ein eher runder, weicher und voller Wein. Wo er sich gar nicht mehr spürt, ist, was seine Aromatik anbelangt. Wenn du gut zuhörst, riechst du vor allem tropische Früchte wie Ananas und Mango. Dazu gesellen sich Marzipan, Pfeffer, ein Schuss Mineralität und die Geschmacksexplosion kann losgehen.

Humagne Blanc (Wallis)

Weisse Sorte, der Macho: Ein sehr eleganter Wein mit subtilen floralen Aromen, der aber hyperempfindlich ist und wahnsinnig viel Pflege benötigt.

Räuschling (v.a Kanton Zürich)

Weisse Sorte, der Durstlöscher: Dank der Zitrusaromen und erhöhter Säure kann der Räuschling praktisch Durst löschen. Erinnert an eine zuckerfreie Limonade, die man aber auch im Keller vergessen kann und trotzdem noch mega ist.

Wieso Du Weine aus autochthonen Traubensorten ausprobieren solltest?

Autochthone Traubensorten haben sich so dermassen an ein Terroir gewöhnt, dass sie die besten Beispiele für Weine sind, die eine Region perfekt widerspiegeln. Sie sind praktisch unverwechselbar. «One of a kind. The real OGs.»*

So, ich habe fertig. Flasche leer.

*OG Original Gangsters

Und hier eine kleine Auswahl unserer CH-OGs:

Wer Mühe hat sich Traubensorten zu merken, hier gibt's Abhilfe: