Wildgewordene Schweiz
Wunsch nach Besinnlichkeit.
Millisekunden nachdem das erste Blatt auf den Waldboden gefallen ist, beginnt in der Schweiz die absolute Völlerei. Wir verzehren Hirsch, Reh und Wildschwein. Kein Kürbisgewächs, das nicht zu einer Suppe verarbeitet wird. Knollen und Wurzeln fliegen uns um die Ohren. Der Marroni-Mann kennt uns schon Mitte September beim Namen. Das ganze Piemont wird über die Ravioli geraffelt und «öberall heds Pilzli draa».
Im Sommer begossen wir uns hektoliterweise mit Rosé, da die 32 Grad nicht gerade nach einem Châteauneuf-du-Pape schrieen. Bloss, wie sehr haben wir uns nach diesem kräftigen Rotweinen gesehnt? Nach diesem Wahnsinnssommer, den wir ausdrücklich draussen zwischen Schrebergarten und Balkon verbracht haben, verspüren wir nun einen Drang nach Besinnlichkeit.
Die kürzeren Tage laden uns auf das Sofa ein, mit dem wir liebend gern verschmelzen. Hier wollen wir ein schönes Glas Rotwein nicht missen. Endlich ist die Zeit reif! Reif für Wein, Wild und Wonne.
Pfadiheim-Wein.
Kein Wunder werden jetzt überall Wild- und Wein-Pairings vorgestellt: Reichhaltige, fast strenge Rhône-Weine zu Wild allgemein, für Hirsch und Hase ein starker Barolo, fruchtig-würzige Pinot Noirs für den Frische-Kick in dieser animalischen Angelegenheit oder ein robuster, reifer Humagne Rouge, der diese herbstlich nahrhaften Gerichte perfekt widerspiegelt. Nur wirkt das ganze Wild-Wein-Pairing ganz kunstlos.
Urinstinkt.
Denn vertraut man seinem gesunden Menschenverstand oder in diesem Fall seinem Urinstinkt, wird einem schnell bewusst, dass man sich das, was vom Wald auf dem Teller landet, auch fürs Glas wünscht: Weine mit Aromen von Süssholz, Zedernholz, Waldbeeren, Rauch, Leder, Tabak und Moos. Deshalb empfehle ich zu Herbstgerichten schlicht und einfach Weine, die uns an den Geruch eines Pfadiheims erinnern.