Wie kommen die Aromen in den Wein ?

Darum schmeckt der Wein nach Wein.
19.11.2020

Es gibt abertausende Weine auf dem Markt. Für jeden Geschmack und jedes Budget. Das Angebot scheint unendlich und das ist auch gut so. Das Entdecken von feinen Weinen wird nie langweilig: Neuer Produzent, neue Produktionsvorgehen, neue Assemblagen, neue Anbauphilosophien und neue Aromen.

Aromen – Mein Stichwort

Eines der überbewertetsten, aber spannendsten Wörter in der Weinwelt.
Eines meiner Hobbys ist es, Rückenetiketten zu lesen, denn die Degustationsnotizen einiger Weine schiessen zum Teil einfach den Vogel ab. Diese gleichen nämlich mehr einem Gedicht als einem Naturprodukt:

Beispiel

«Intensive, dichte, fast explodierende Nase. Duftend nach reifen, schwarzen Beere und Cassis, Mocca, warmem Rauch, dazu elegante, dezente Kokosnuss-, Vanille- und Ausbauaromen. Ein voluminöser, mundfüllender und aromatischer Wein mit viel Schmelz und einer kernigen Textur. Ein ausgezeichneter Vertreter des Terroirs auch dank seiner mediterranen Würze, mit viel regionalem Charakter.»

Solche Weinbeschriebe sind weder schlimm noch falsch, aber ich weiss nicht, ob sie uns wirklich helfen. Kannst Du dir Kokosnussaromen im Wein vorstellen? Wünschst Du diese Aromatik im Wein?

Meine Lieblingsbeschreibungen sind die Gewürznoten, oft in Kombination:

  • Anis
  • Dill
  • Gewürznelke
  • Lakritze
  • Muskat
  • Heidekraut
  • Majoran

Wer zum Teufel will diese Gewürze im Wein haben?

If you can't convince, confuse.

Falls ich mal Wein produzieren sollte, dann lautet mein Weinbeschrieb folgendermassen:

«In der Nase besticht dieser Wein mit Aromat und Cenovis. Das Vitamin B verleiht ihm eine gewisse gesunde Würzigkeit. Am Gaumen präsentieren sich Salataromen mit einer französischen Sauce und Sesamkernen. Saftig, knackige Tannenzapfen mit einer Säure stärker als der Essig Deiner Grossmutter und einem elendslos langen Abgang.»

Jetzt komme ich zum Punkt. Aromen machen den Wein interessant. Komplexe Aromen verleihen dem Wein Qualität und Finesse. Aromen sind absolut faszinierend, jedoch erkennt man sie erst nach jahrelangen Verkostungsübungen und dies am besten blind. Learning by Drinking wäre hier der Ansatz. Für viele Anfänger oder auch einfach Weingeniesser haben diese Aromen eine überfordernde Wirkung, denn oft riecht oder schmeckt man diese nicht, was dann zu Selbstzweifel führen kann. Selbstzweifel beim Weintrinken braucht jetzt wirklich niemand.

Aber wie entstehen nun diese Aromen?

Nur kurz vorweg: Die Aromen im Wein entstehen durch verschiedene biologische und chemische Reaktionen. Wir fokussieren uns jedoch auf die wesentlichsten Faktoren und lassen das Biologie- und Chemiestudium mal beiseite.

Primäre Aromen

Du kannst nicht in den Rebberg gehen, eine Weissburgundertraube pflücken, reinbeißen und erwarten, dass sich in Deinem Mund die Aromen von Geissblatt, Orangenblüte und Pink-Lady-Apfel breit machen. Jede Traubensorte hat lediglich die Aromavorstufen dazu in sich (ein Potenzial). Die Aromen kommen jedoch erst während der Weinherstellung zum Vorschein.

Bei Aromen von den Traubensorten per se unterscheidet man zwischen: fruchtig, floral, würzig, pflanzlich, erdig.

Sekundäre Aromen

Alle, die mit Wein zu tun haben, sind sich einig: Die Qualität des Weins hängt vom Rebbau ab, nicht vom Ausbau (der Produktion) im Keller. Wenn das Terroir ungeeignet ist, der Boden krank, die Rebstöcke zu eng gepflanzt und zu stark mit Trauben beladen sind und wenn nicht rechtzeitig geschnitten oder geerntet wird, kann man sich die Arbeit im Keller gleich an den Hut stecken.

Aromen vom Anbau (Rebberg)

  • Terroir: Sorgt für die Weinstruktur (fein, kräftig, strukturiert)
  • Traubenextrakt: Farbe, Aroma und Qualität
  • Jahresabhängige klimatische Einflüsse (z.B. Zucker versus Säure)

Aromen vom Ausbau (Keller)

  • Fermentation: Alkoholgehalt, Zuckergehalt, Frische, Saftigkeit, Hefearomatik, Säureabbau
  • Ausbauaromen/ Röstaromen: Edelstahltank (Fokus auf Frucht), Holzfässer (Ausbauaromen wie Vanille, Karamell etc.), Zementeier oder Amphoren sorgen alle für unterschiedliche Weine

Tertiäre Aromen

Wein wird besser mit dem Alter. Wie wir auch. Das meinen wir auf jeden Fall. Zeit im Fass und Zeit in der Flasche lassen im Wein Aromen entstehen, die sonst nicht möglich wären. Zudem kann sich der Wein über die Zeit hinweg entfalten. Die Tannine integrieren sich in den Wein und werden sanfter.

Flaschenreifung

Die Aromen, die gewisse Weine während der langen sauerstoffarmen Flaschenreifung entwickeln, gehören zu den exquisitesten und komplexesten, die der Weingenuss zu bieten hat. Die groben Tannine integrieren sich sanft im Wein, die zu Beginn noch präsente Säure nimmt ab, die Fruchtaromen von der Lagerung bzw. Reifung in der Flasche werden komplexer und entwickeln sich hin zu Aromen von reifer Frucht, Trockenobst und Gewürznoten.

Ich habe jetzt wirklich nur an der Oberfläche gekratzt. Wer sich gerne noch intensiver mit Aromen auseinander setzen will, dem empfehle ich folgende Literatur:

  • Technologie des Weines von Jochen Hamatschek
  • The Science of Wine von Jamie Goode

Viel Spass beim Lesen und/oder Entdecken und denkt daran: das Wichtigste ist, einen feinen Wein für sich selber zu finden und nicht, zwischen Pflaume und Zwetschge unterscheiden zu können.