Die hartnäckigsten Weinmythen.

Hier endet die Gerüchteküche.
16.11.2020

Heute räume ich auf mit den hartnäckigsten Weinmythen. Denn wir wollen uns schliesslich nicht auch noch das nächste Jahrzehnt damit abmühen müssen.

Mythos 1: Viele Tränen im Weinglas stehen für Qualität

Viele vermeintliche Weinkenner behaupten, dass sogenannte Kirchenfenster (Schlieren, Tränen), die sich beim Schwenken des Glases zeigen, für Qualität stehen. Bei diesem Phänomen handelt es sich jedoch um Alkohol, der beim Schwenken des Weinglases verdunstet, und/oder Zucker im Wein.

Tränen, die eng beieinander herabfliessen (oder spitzbogige Kirchenfenster), bedeuten: viel Alkohol. Falls auf der Etikette doch ein tieferer Alkoholgehalt steht, weist der Wein eine hohe Restsüsse (Zucker) auf. Die Tränen wirken dickflüssig wie Honig oder Sirup.

Fazit: So ein Gugus. Tränen stehen nicht für Qualität.

Mythos 2: Weine mit Drehverschluss sind nicht lagerfähig

Damit sich der Wein langsam und stetig entfalten kann, benötigt er eine geringe Luftzufuhr. Dies wird durch den Sauerstoff im Korken und den im Wein gelösten Sauerstoff gewährleistet. Mittlerweile gibt es aber auch schon Drehverschlüsse, die dank eines speziellen Produktionsverfahrens ebenfalls eine langsame und geringe Luftzufuhr gewähren.

Fazit: Das hat was, denn nur die Drehverschlüsse mit neuer Technologie funktionieren – und die werden selten eingesetzt.

Mythos 3: Sulfite (Schwefel) sorgen für Kopfschmerzen

Dem Wein wird nicht reiner Schwefel zugesetzt, sondern Schwefeldioxid (SO2). Sulfite sind Salze der schwefeligen Säure; der Begriff wird aber als Synonym für Schwefeldioxid benutzt. Diverse Studien haben bewiesen, dass Sulfite nicht an deinem Kater bzw. an Kopfschmerzen Schuld sind. Es gibt genau einen Grund, wieso du nach einem längeren Weinabend leidest: Du hast einfach drei Gläser oder sogar drei Flaschen zu viel genossen. Ich sage es nur ungern, aber Alkohol ist nun mal ein Zellgift. Nichtsdestotrotz, je weniger Zusatzstoffe dem Wein beigefügt werden, desto besser.

Fazit: Du bist schuld an deinem Kater.

Mythos 4: Jeder Wein wird besser, wenn man ihn lagert

Etwa 99 Prozent aller heute auf dem Markt erhältlichen Weine kann man sofort oder innerhalb eines Jahres geniessen. Nur 1 Prozent aller produzierten Weine haben ein Lagerpotenzial von 5 bis zu über 50 Jahren. Der Grund dafür ist, dass nur wenige Weingüter/Regionen auf dieser Welt über ausserordentliches Terroir verfügen, das für das Lagerpotenzial der Weine verantwortlich ist.

Fazit: Die meisten Weine im Detailhandel kannst du sofort geniessen.

Mythos 5: Cuvées sind minderwertiger als reinsortige Weine

Fälschlicherweise wird nicht zu selten vermutet, dass Cuvées aus verschnittenen (gemischten) Überresten entstehen und so der Wein zweitklassig ist. Dies ist aber nicht so. Ziel beim Verschneiden von Traubensorten oder verschiedenen Parzellen ist es, einen komplexeren Wein herstellen zu können, als wenn die Traubensorten einzeln zu Wein gemacht worden wären. So kann man durch verschiedene Rebsorten Alkoholgehalt, Aromen, Säure und Farbe einbringen und auch für einen Ausgleich sorgen. Berühmte Rebsortencuvées sind Bordeaux (2–5 Traubensorten) und Châteauneuf-du-Pape (13 Traubensorten). In der Schweiz haben wir auch eine berühmte Cuvée, den Dôle (Pinot Noir und Gamay-Trauben).

Fazit: Ein Juhee für Cuvée.

Mythos 6: Rosé ist Rot- und Weisswein gemischt

Im Gegenteil! Das Mischen/Verschneiden von Weiss- und Rotweinen ist innerhalb der EU sogar verboten. Ausserhalb der EU ist es jedoch erlaubt. Rosé herzustellen ist aufwändiger, als man meinen könnte. Die häufigste Variante ist es, rote Trauben nur kurz und schnell zu pressen, so dass die rote Traubenhaut den Saft nur leicht pinkig färbt. Eine Ausnahme macht die EU jedoch: Für die Schaumweinherstellung ist das Verfahren «Rot- und Weisswein mischen» überall erlaubt (dem Schaumwein wird ganz wenig Rotwein hinzugefügt).

Fazit: Rosé ist kein Gsöff.

Mythos 7: Nur alte Weine sollte man dekantieren

Stell dir vor: Der Wein, den du servieren willst, lag mindestens ein Jahr in der Flasche, komplett geschützt vor jeglicher Sauerstoffzufuhr. Und nun stell dir mal vor, dass du selbst ein Jahr lang ohne Sauerstoffzufuhr auskommen müsstest. Anstrengend, oder? Fazit: Jeder Wein, auch ein junger, egal ob weiss oder rot, braucht einen Schluck Sauerstoff nach dem Entkorken, um sich entfalten zu können.

  • Dekantieren bei älteren, gereiften Weinen trennt Sedimente/Depot (Gerbstoffe, Farbstoffe) vom Wein.
  • Karaffieren bei jungen Weinen führt durch Sauerstoffzuführung/Weinbelüftung dazu, dass sich der Wein besser entfaltet.

Fazit: Alte Weine dekantieren, junge Weine karaffieren. Erst dann absorbieren.

Mythos 8: Bier auf Wein, das lasse sein

Deutsche Forscher haben tatsächlich eine wissenschaftliche Untersuchung (wer von euch wäre da gerne dabei gewesen? Hahaha!) über diesen Volksmund durchgeführt. Folgendes Resultat hat sich nach einer fast peinlich genauen Studie ergeben: «Zumindest bei Lagerbier und Weisswein macht es keinen Unterschied, ob man nur das eine trinkt, nur das andere, oder beides in verschiedenen Reihenfolgen nacheinander.»

Das Sprichwort kommt übrigens von früher, als sich die Armen nur Bier leisten konnten und sich nur die Reichen Wein gönnen konnten. Wein auf Bier war in dem Fall durchaus begehrenswert.

Fazit: Bier auf Wein auf Gin auf Tequila! Und wieder von vorne.
Die Studie wurde mit 100 Freiwilligen, die gerne Bier und Wein trinken, durchgeführt. Was für ein Saufgelage.

Mythos 9: Wein verdampft beim Kochen

Dass dieser Mythos falsch ist, haut mich aus den Socken. Alkohol verkocht nur bei Temperaturen ab 75 Grad und erst nach einer ganzen Weile. Der Alkohol im Wein zum Abschmecken in Suppen und Saucen bleibt zu 85% bestehen. Laut einem Artikel von ARD enthält ein Schmorbraten, der eineinhalb Stunden im Wein kocht, noch 20% Alkohol. In Desserts und Eis, wo z. B. Likör oder Rum dazugegeben wird, bleibt der Alkohol komplett drin.

Fazit: Du kannst auch von Dessert besoffen werden.